Gratkowski Nabatov „Mirthful Myths“

mirthfulFrank Gratkowski – alto sax, bass clarinet, clarinet
Simon Nabatov – piano

Leo Records LR 785
recorded live at Loft Köln on May 17th 2015

Gratkowski and Nabatov crossed their musical paths over 30 years ago and maintained this mutually rewarding creative and personal connection ever since. Having played together in most diverse settings imaginable, here they find themselves for the first time as a duo – arguably the most honest and intimate art form in music. Open and unforced by any agenda, with so much already shared and yet so many surprises ahead, they lead a conversation about things close and very distant. Gratkowski and Nabatov are traveling along the lines of their own mythology, letting the listener participate in their absorbing storytelling.

Besprechung: 
Frank Gratkowski & Simon Nabatov: Mirthful Myths
Text: Heinrich Brinkmöller-Becker

Bochum, 13.03.2017 | Wow, was für eine Musik? Pianist Simon Nabatov und Bläser Frank Gratkowski (Bassklarinette, Altsaxophon, Klarinette) präsentieren mit ihrer neuen CD mirthful myths – einem Live-Mitschnitt aus dem Kölner Loft vom Mai 2015 – einen unglaublich dichten und vielfältigen musikalischen Pas de deux, der einem stellenweise den Atem raubt. Die einzelnen Titel des Albums verweisen auf den Bereich der Mythologie, die Umsetzung hat in der Tat etwas von Titanischem, einem gemeinsamen kraftvoll-trotzigen Ringen um das musikalisch Mögliche, das bei ihnen zum Gegenteil einer Multioptionsblockade führt.

Der über 22 Minuten lange Opener Three Tamed Furies führt uns in ein wahrhaft furioses Zwiegespräch zwischen Bassklarinette und parallelen Läufen und Akkordsprüngen des Pianos, das Spiel wird atemberaubend schnell, verbleibt jedoch dabei expressiv und federnd. Eine nächste Sequenz verharrt zunächst in einem geheimnisvollen Schwebezustand von geblasenen Dauertönen und Akkkord- und Cluster-Fetzen im Bass und Diskant des Klaviers. Dieser „gezähmte“ Status erfährt allmählich eine energetische Zunahme, beide Instrumente erreichen wieder eine stupende Virtuosität. Bei Simon Nabatov hat man den Eindruck, dass keine der 88 Tasten ausgelassen wird, die Bassklarinette von Frank Gratkowski scheint ebenso unendlich in ihren klanglichen Möglichkeiten des Überblasens, der Klappengeräusche, der eruptiven Läufe. Vor allem der sonore Ton bringt den virtuosen Ausbrüchen des Hexenmeisters am Klavier häufig eine gewisse Erdung. Gedämpfte Saiten, präpariertes Klavier, Klangtupfer, perkussive Klänge aus dem Resonanzboden des Flügels erzeugen einen rätselhaften Kosmos, eine akustische Entsprechung zu mythologischen Sphären. Die Klangwelt wird in der Tat dem Titel gerecht: Sie ist in gleicher Weise furios und gezähmt. Am Ende des mythologischen Zaubers finden die Musiker zur fast „traditionellen“ Spieltechnik zurück.

In dem Track Cloud Gatherer Awakes bläst Gratkowski superschnelle Läufe auf dem Altsaxophon, umspielt von Hoch-Tief-Akkorden Nabatovs. Das enten- und gänsehafte Gegacker des Saxophons findet rhythmisch-klangliche Parallelen auf dem Klavier, es entspinnt sich ein rauschhaftes Rhapsodieren von Läufen und Gegenläufen, von parallelen Klangkaskaden. Häufig fragt man sich bei Simon Nabatov, ob er wirklich nur mit zwei Händen sein Instrument traktiert.

Eirene All Around beginnt mit sitarähnlichen Saitenklängen, von klagenden und immer energischer werdenden Läufen des Altsaxophons begleitet. Die Huldigung an die Friedensgöttin verbleibt in einem akustischen Rahmen aus verschiedenen Sounds aus Klappengeräuschen, spitzen Tönen, Saitenzupfen, leicht modulierten Tönen des Saxophons.

In eine schwingend-vibrierende Atmosphäre werden wir in Pan’s Wanderlust eingeführt, gefolgt von einem temporeichen Crescendo, bei dem Bassklarinette und Klavier einen rasanten Dialog entwickeln. Das Pan’sche Wandern entpuppt sich mehr als ein ausgesprochen vitaler Tanz, der abrupt endet und mit Blasgeräuschen und wenigen Akkordtupfern fortgesetzt wird, um von neuem seinen Schwung aufzunehmen und schließlich in wenigen Geräuschen zu enden.

Auf den Südwind Notos aus der griechischen Mythologie spielt der Titel Progress of Notus an. Wieder erzeugt das Duo mit Altsaxophon und auch perkussiv eingesetztem Flügel zunächst ruhige stimmungsvolle Bilder. Dem Titel entsprechend entsteht daraus allmählich ein Schwelgen in immer schneller werdenden Läufen und Klangkaskaden, ein Crescendo in atemberaubendem Tempo mit „stürmischer* Energie und klanglichem Reichtum. Am Schluss lässt der Sturm in einem leiser werdenden Fading Out nach. Das Album endet mit dem 3-minütigen At The Beginning, einer sehr ruhig auf der Klarinette geblasenen und vom Klavier zurückhaltend begleitenden Weise. Die verschiedenen mäandernden Wege der mythologischen Assoziationen finden einen zurückgenommenen Ausklang.

Wow, was für eine Musik? Mirthful myths führt uns ein umwerfend virtuoses und raffiniertes Interplay von zwei Musikern vor mit ihrem feinsinnigen Gespür für Dynamiken und atmosphärische Verdichtungen, mit einer unerschöpflichen Vielfalt an spielerischen und klanglichen Einfällen – eine Musik, die uns wahrhaft wie eine Circe bezaubert.